Wirkung und Rezeption

Kaum ein deutscher Philosoph der Neuzeit hat posthum sowohl breite Leserschichten als auch zahlreiche Berühmtheiten aus Kunst und Wissenschaft so unmittelbar erreicht wie Schopenhauer. Er beeinflusste unter anderem Friedrich Nietzsche. Nietzsche stellte seine 3. Unzeitgemäße Betrachtung unter den Titel Schopenhauer als Erzieher: „Ich gehöre zu den Lesern Schopenhauers, welche, nachdem sie die erste Seite von ihm gelesen haben, mit Bestimmtheit wissen, daß sie alle Seiten lesen und auf jedes Wort hören werden, das er überhaupt gesagt hat … Das kräftige Wohlgefühl des Sprechenden umfängt uns beim ersten Ton seiner Stimme; es geht uns ähnlich wie beim Eintritt in den Hochwald, wir atmen tief und fühlen uns auf einmal wiederum wohl … Ich ahnte in ihm jenen Erzieher und Philosophen gefunden zu haben, den ich so lange suchte. Zwar nur als Buch: und das war ein großer Mangel.“ Später freilich verwarf Nietzsche Schopenhauers Philosophie und kehrte dessen Pessimismus in einen radikal-optimistischen Vitalismus um. Dabei bleibt Schopenhauer offensichtlich eine Referenz. Ihrer Verehrung für den sich als Literaten verstehenden Philosophen Ausdruck gaben Richard Wagner, Samuel Beckett, Albert Einstein, Thomas Hardy, Henri Bergson, Kurt Tucholsky, Thomas Mann, Hermann Hesse, Wilhelm Busch, Leo Tolstoi, Thomas Bernhard und viele andere.

Tolstoi brachte Ende August 1869 einen regelrechten Schopenhauer-Panegyrikus zu Papier:

„Wissen Sie, was der diesjährige Sommer für mich bedeutet hat? Ununterbrochene Begeisterung für Schopenhauer und eine Reihe geistiger Genüsse, die ich niemals zuvor erfahren habe. […] Ich weiß nicht, ob ich meine Meinung einmal ändern werde, jetzt jedenfalls bin ich überzeugt, dass Schopenhauer der genialste aller Menschen ist […] Wenn ich ihn lese, ist mir unbegreiflich, weshalb sein Name unbekannt bleiben konnte. Es gibt höchstens eine Erklärung, eben jene, die er selber so oft wiederholt, nämlich dass es auf dieser Welt fast nur Idioten gibt.“[18]

Schopenhauers Einfluss auf die moderne Deutsche Literatur ist kaum zu überschätzen. Dies zeigt sich nicht nur in den zahlreichen Anhängern unter den Literaten, sondern auch in seinem Beitrag zur Erneuerung der deutschen Schriftsprache. Insbesondere wegen seiner besonderen Beziehung zur Ästhetik beriefen sich viele Künstler und Schriftsteller auf die Lehre Schopenhauers. Ein Beispiel für Schopenhauers Bedeutung hinsichtlich seiner Haltung zur Sexualität ist der Roman „Wettlauf zum Tod“ von Édouard Rod aus dem Jahr 1885.

Die Verbreitung des Buddhismus in Deutschland lässt sich auch auf sein Wirken zurückführen. Er sah in dieser Religion einen Gegenentwurf zur abendländischen Metaphysik und deutete deren Erkenntnisstreben als Mittel, um die geistige Isolierung des Individuums zu durchbrechen. Schopenhauer fand zahlreiche Verbindungen zwischen seiner eigenen Philosophie und der buddhistischen Lehre, etwa den Atheismus. Die Indien-Begeisterung vieler damaliger Intellektueller wie auch die ersten Übersetzungen asiatischer Texte wurden durch seine Schriften angeregt.

Der Philosoph Eduard von Hartmann dagegen kritisierte schon sehr früh an Schopenhauers Lehre die „Verneinung der Welt“ als „feige persönliche Entsagung“. Ferdinand Tönnies’ Willenstheorie als Axiomatik der Soziologie in Gemeinschaft und Gesellschaft (1887) weist starke Einflüsse Schopenhauers auf. Hermann Graf Keyserling verhöhnte das Artistentum Schopenhauers, dem es innerlich wie äußerlich stets um bloße Darstellung gegangen sei.[19] Max Scheler bezeichnete Schopenhauer als Auslöser der wissenschaftlichen Lebensphilosophie.

„[Er ist] Vorgänger des Pragmatismus – nicht als Philosophie, sondern als Methodologie der Wissenschaft […] insofern er den Intellekt als eine bloße Waffe des blinden Lebenswillens im Kampf ums Dasein ansieht […] ist er der Vorgänger Bergsons.“

– Max Scheler[20]

Auch die Psychoanalyse Sigmund Freuds setzt unmittelbar bei Schopenhauers Lehre vom Willen und seiner Negierung an, indem sie die Schäden untersucht, die durch (willentliche oder unfreiwillige) Triebunterdrückung entstehen. Freuds Ansatz kann als Versuch der Re-Rationalisierung des menschlichen Lebens eingeordnet werden, da er eine Methode zur Analyse des Schopenhauerschen Begriffs des Willens erarbeitet, mit dem Ziel, diesen kontrollierbar zu machen. „Wo ES war, soll ICH werden.“

Der Begründer der Individualpsychologie Alfred Adler deutete den schopenhauerschen Ansatz der Leidensüberwindung als fundamental positiven Aspekt in der menschlichen Entwicklung auf dem Weg von seiner Unmündigkeit bei der Geburt zur individuellen Vollkommenheit. Der bei Schopenhauer auf einen Weltwillen zielende Entwurf wird als schöpferisches Element in jedem Lebewesen interpretiert.[21] Adler sieht Schopenhauers Ansatz zur Verneinung des Lebens vorbereitet in einer feindlichen Beziehung zur Mutter.[22]

Zudem knüpfte Carl Gustav Jung, Hauptvertreter der Analytischen Psychologie, an Schopenhauer an mit seinem Konzept des kollektiven Unbewussten. 1911 gründete Paul Deussen die Schopenhauer-Gesellschaft, wurde ihr erster Präsident und begann mit der (unvollendeten) Herausgabe einer kritischen Schopenhauer-Ausgabe in 14 Bänden.

Zum 150. Todestag am 21. September 2010 erschienen Bücher, Zitatsammlungen[23] und Würdigungen.[24]





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